Diese Prognose hat die altehrwürdige BBC für das Jahr 2022 gemacht. Dass sind nur noch ganze sechs Jahre. Wie kommt die eher britisch-zurückhaltende BBC auf eine solche – Vision? Schreckensvision? Geht 2022 ein Herausgeber durch menschenleere, verwaiste Redaktionsflure, während auf dem Server hunderte von Geschichten produziert werden?
Die BBC hat Recht. Nur wird der Roboterjournalismus, so wie er etwas detaillierter auf beschrieben wird, kaum einen Journalisten um seinen Arbeitsplatz bringen. Die Kraft der Software liegt in ihrer Fähigkeit, in Sekunden Geschichten zu erzählen, die es vorher gar nicht oder nur sehr selten gab. Und es wird ein Zusammenspiel zwischen Journalisten und Daten-Analysten geben, gegen die die Kompetenzen heutiger “Datenjournalisten” nur eine Trockenübung waren.
Mein zurzeit schwierigstes Projekt, für ein US-Magazin, macht ganz gut deutlich, welche Art von Stories neu erfunden werden: wir entwickeln eine alle 4 Wochen erscheinende Beitragsserie, die sich auf hohem Niveau mit den zukünftigen Migrationsbewegungen in Afrika beschäftigt. Zukunftsprojektionen, die auf ganz unterschiedlichen Datenquellen aufsetzen: Daten der Weltgesundheitsorgansiation, Daten der Weltbank zu unemployment rates, Angaben der UNESCO zu Schulabgängern und Prognosen von Branchenexperten zu den zu erwartenden Ernteerträgen. Alle diese Zahlen werden zusammengeführt und , die erstellte Prognose wird an allen zur Verfügung stehenden Prognosen und den eingetretenen realen Entwicklungen gemessen.
Ohne einen Journalisten, der das Endprodukt, also den kompletten Artikel skizzieren kann, ist diese Arbeit genauso wenig möglich wie ohne den erfahrenen Datenanalysten, der die inhaltlichen Anforderungen der Redaktion in mathematische Regeln und referenzierende Datenfelder “übersetzt”. Und doch werden diese Artikel nie 1:1 veröffentlicht werden, sie werden feingeschliffen, mit Reportage-Elementen angereichert und um Interview-Passagen ergänzt. Roboterjournalismus und Klassik in friedlicher, fruchtvoller Koexistenz. Das Schreiben des Rohartikels spart der Redaktion “nur” etwa 4 Arbeitstage, die Datensichtung aber hätte einen Redakteur etwa vier Wochen beschäftigt, für jeden Artikel. Das erledigt die Software nun, nachdem einmal acht Wochen Entwicklungszeit investiert worden sind, in wenigen Sekunden.
Ach ja: ob der HSV nur bei bestimmten Wetterlagen verliert, lässt sich genauso blitzschnell vertextlichen. Und warum schreibt niemand über gar nicht so exotische Sportarten wie Rugby oder die zweite Liga Handball? Über die Zulassung von Traktoren und die Zahl neuzugelassener Medikamente? Richtig, die Zielgruppen sind bislang viel zu klein. Welche Auswirkungen haben die Twitter-Posts von Donald Trump auf die internationalen Börsen? Dazu braucht man nur die um 15 Minuten verzögerten (und damit bezahlbaren) Index-Kurse der wichtigsten Börsenplätze und Trumps Tweet – kein Hexenwerk und sehr, sehr spannend. Auch für eine Software 🙂