Warum sich Roboterjournalismus für Lokalzeitungen lohnt

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Ein mittelständischer Verlag irgendwo in Norddeutschland steht unmittelbar davor erste “Robotertexte” einzuführen. Mit einhelliger Unterstützung der ganzen menschlichen Redaktion. Denn inzwischen ist man hier überzeugt, dass eine Printausgabe in 2-3 Jahren feierlich zum letzten Mal aus der Druckerei kommt. Um aber zumindest ein Basisangebot an lokalen Informationen anbieten zu können,  müssen die digitalen Umsätze drastisch erhöht werden  – was nur mit einem größeren Angebot an personalisierten und bis in Dörfer hinein regionalisierte Nachrichten gelingen wird. Quadratur des Kreises: Umsätze durch mehr Inhalte erhöhen, gleichzeitig können altersbedingt ausscheidende RedakteurInnen aus Kostengründen nicht ersetzt werden.

Roboterjournalismus hört sich nur teuer an

cropped-liegender-roboter-schreibend-positiv.jpgDas ist für uns viel zu teuer” – eine nicht so seltene erste Einschätzung von kleineren bis mittelgroßen Verlagen, wenn es darum geht, (schwache) künstliche Intelligenz zur Produktion von Nachrichten und Berichten einzusetzen.  Auch diese Verlagsinhaber haben allerdings kein Problem, mehrere hunderttausend Euro für Unternehmensberatungen auszugeben, die zu dem erstaunlichen Ergebnis kommen, der Kunde müsse seine digitalen Umsätze erhöhen…

Budgets für neue Inhalte – nicht für alte Beraterweisheiten

Mit welchen Budgets kann ein regionaler Verlag in das Thema “automatisierte Nachrichten” einsteigen? Die Gewerkschaft Ver.di hat als Tariflohn für den Volontär und die Volontärin bei einer Tageszeitung 1.911Euro monatlich vereinbart.  Eine Textgenerierungssoftware ist einem Volontär nicht ganu unähnlich: sie muß angelernt und trainiert werden und wenn der Dienstleister einen ordentlichen Job macht wird auch der Software immer wieder über die Schulter geguckt werden.

aussterbender Journalist

“Und was kostet sowas jetzt genau?” – gute Frage, klare Antwort

Wieviel kann ich als Verlag für ein Volontärsgehalt von 1.911 Euro erwarten? Nehmen wir an, die Lokalzeitung deckt vier Landkreise mit 12 relevanten Städten oder größeren Dörfern ab:

  • Täglich 3x sehr lokal ausgerichtete und spezifische Wetterberichte für die 12 Bereiche mit einer historischen Einordnung der aktuellen Temperaturen ( 1.000 Berichte monatlich)
  • Monatlich 6 tiefgehende Analysen zur Arbeitsmarktsituation (kein copy&past) nach Bildungsgrad, Geschlecht, Migrationshintergrund für die 4 Landkreise (24 Beiträge)
  • Monatlich zwei ausführliche Berichte zum Thema “Dieselkrise&Elektro-Hype” auf Grundlage aktueller Neuwagenzulassungen (EuroStat) für die vier Landkreise ( 8 Berichte monatlich)
  • Optional: Täglich 3x für den Newsticker Kurzberichte von der Börse zu dem börsennotierten Unternehmen in einem der Landkreise bzw. oder zu einem börsennotierten Unternehmen mit wichtigem Standort in der Region (60 Berichte monatlich)
  • Kurze Vor- und Spielberichte aus den Fußball-Ligen, die nicht (mehr) von eigenen Reportern abgedeckt werden (angenommen werden zwei Ligen mit zusammen 20 Spielen/Woche; bei 80 Spielen im Monat mit Vor- und Spielbericht also 160 Berichte)
  • Entwicklung der Miet- und Eigentumspreise wöchentlich nach Mietwohnungen, Eigentumswohnungen und Häusern für alle 12 Kommunen plus 4 Landkreise: 16 Berichte/Woche; 60 Berichte im Monat
Es gibt sogar noch mehr als nur Texte und Grafiken

Würde eine Lokalzeitung ein solches Grundpaket in Auftrag geben wären die Kosten geringer als die einer einzigen Volontärs-Stelle. Diese aber sollte keinesfalls gestrichen werden, im Gegenteil: Textgenerierung und Datenanalyse nimmt Redaktionen nicht nur unglaublich viel Recherchearbeit ab, sie liefert auch automatisch Hinweise auf Geschichten, denen es nachzugehen lohnt:

  • Warum gehen in einem bestimmten Ort die Mieten zurück, wären sie überall anders steigen?
  • Warum hat Ort XY offenbar ein besonderes Problem mit Langzeitarbeitslosen?
  • Angeblich will niemand mehr Diesel kaufen – warum gehen in X die Dieselzulassungszahlen steil nach oben?

RJ190% aller News werden schon 2022 automatisch generiert werden, schreibt die BBC in einer Studie. Weil es viel mehr Nachrichten geben wird, gerade im lokalen und regionalen Bereich!

Wolfgang Zehrt, Berlin

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Rechnet sich automatische Textgenerierung für Leser und Medien?

netter rob sitzend laptop

Datenanalyse in Kombination mit Textgenerierung ermöglicht inzwischen, dass lesenswerte Beiträge aus zuvor unübersichtlichen Datenbergen entstehen. Niemand würde heute humanoide Journalisten dafür bezahlen, deskriptiv über das Wetter oder das Geschehen an der Börse berichten. Das mit den Texten auch Grafiken und bald auch Videos ohne menschliches Zutun entstehen macht es möglich, dass auch für bislang wirtschaftlich zu kleine Zielgruppen zumindest Basis-Informationen angeboten werden können. Das sind keine des Literaturpreises verdächtigen Prosawerke, sondern sachliche Beiträge, die aber sehr präzise und objektiv sind. Wenn es die Daten sind. Unterste Fußball-Ligen, über die Lokalreporter schon lange oder noch nie geschrieben haben oder Kursschwankungen einer nicht im Fokus stehenden exotischen Währung sind Möglichkeiten, die Berichterstattung auszubauen.

Rechnen sich automatisch generierte Berichte?

Die laufenden Kosten bei „Roboterjournalismus“-Projekten sind sehr überschaubar. Ein real existierendes Beispiel:  bei etwa 200 unteren Fußball-Ligen in einem größeren Bundesland gibt es 4.000 Mannschaften mit rund 20 Spielern (mit Reservebank), die sich für die Begegnungen interessieren. Das sind in einem Bundesland 80.000 Spielerinnen und Spieler. Rechnet man legitimerweise pro Spieler 2,5 interessierte Bekannte, Freunde, Verwandte und Arbeitskollegen hinzu, ist man bei einer Zielgruppe von rund 200.000 Menschen. An jedem Wochenende. Bislang erfahren diese 200.000 Menschen außer dem Ergebnis nichts über die Spiele, zumindest nicht in den vielen Tausend unteren Klassen. Schon zwei Berichte von 100 Wörtern als Vor- und einer als Spielbericht würden auf dankbare Leser/User treffen. Dem stehen monatliche Kosten von unter 2.000Eur gegenüber: für rund 2 Euro werden also 2.000 Menschen erreicht. Eine Refinanzierung eines solchen Angebotes ist schnell erreichbar.

Börsenberichte lesen sich nur einfach

Deskriptive Börsenberichte in hoher Frequenz gehören in der Standardversion zum Brot- und Buttergeschäft der Textgenerierung, aber nicht zu den Anfängeraufgaben, wenn es um die dafür nötige Datenanalyse geht.

DatensichtungMit historischen Daten, Handelsvolumen, Mitarbeiterzahlen und Jahresergebnissen als Grunddaten zu arbeiten, gleichzeitig mit  realtime-Werten des laufenden Börsentages zu operieren, um daraus alle 15 Minuten einen bis zu 500 Wörter langen Texte bauen zu lassen, ist nicht trivial. Die Rechnung geht für den Abnehmer (und für die User) trotzdem auf: die Texte erreichen monatlich knapp über 10 Millionen Views, der Preis pro View liegt bei knappen 80 Cent für 1.000 erreichte User.

Leser gewinnen Inhalte und Journalisten dringend benötigte Zeit

Mit Textgenerierung kann die „Dieselkrise“ ganz anders als üblich zu begleiten: mit einer detaillierten interaktiven Karte für jeden Zulassungsbezirk eines Bundeslandes. Und mit einer Textzusammenfassung, in der Modell-genau die Entwicklung von Hybrid-, Elektro- und Dieselautos auf den Punkt gebracht wird. Dieselbe lokale Nähe lässt sich mit Arbeitsmarktdaten und Luftqualitätsmessungen, mit Kriminalitätsstatistiken und Miet- und Immobilienpreisen schaffen.

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Es entsteht nicht nur ein sehr regionaler und lokaler Content für viele Millionen UserInnen; die menschlichen Journalisten bekommen so wieder Zeit für die wirklich großen Reportagen und Interviews. (Wolfgang Zehrt, dna-institute.com)